Psychische Probleme

📌  Grundsätzlich:

  • Essstörungen entstehen meist langsam und beiläufig
  • Verschiedene Faktoren wirken mit (biologische, psychische, soziokulturelle, innerfamiliäre)
  • Über das veränderte Essverhalten wird ein Umgang mit einem äußeren oder inneren Problem entwickelt, der sich zu einer Störung entwickeln kann
  • Es kommt zu Kontrollstrategien, die sich mit dem Verlust an Kontrolle abwechseln
  • Begleitend treten Scham- und Schuldgefühle auf, so dass eine Kontaktaufnahme mit Betroffenen zunehmend schwierig wird
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Anorexie (anorexia nervosa):
Die Magersucht verändert schleichend das ganze Leben der Betroffenen. Das Untergewicht destabilisiert das äußere Gleichgewicht des Körpers und auch die wichtigsten inneren Lebensfunktionen. Das innere Gleichgewicht ist gestört, so dass die Betroffenen nicht nur auf Grund der psychischen Erkrankung beeinträchtigt sind, sondern auch durch die Veränderung der Gefühle, der Wahrnehmung und der Konzentrationsfähigkeit.

Innere Gefühle sind für die Betroffenen bedrohlich und erzeugen panische, von außen schwer nachvollziehbare Ängste. Essen wird als Versagen, als Schwäche des Körperlichen erlebt. Nur die immer mehr sicht- und spürbar werdenden Knochen erscheinen als das Stabile, das Überdauernde, das Fleisch gilt als das Unzuverlässige, Schwammige.


Bulimie (bulimia nervosa):
Die Ess-Brech-Sucht ist eine „heimliche“ Erkrankung. Die Betroffenen leiden meist jahrelang, bevor jemand von ihren mit extremer Scham besetzten Problemen erfährt und sie Hilfe holen. Die Ess-Brech-Anfälle verändern weniger das äußere Aussehen. Aber sie verändern wichtige innere Funktionen und stören das innere Gleichgewicht. Die Betroffenen werden auf Grund der psychischen Erkrankung in ihrem Funktionieren beeinträchtigt und leiden zusätzlich unter der Veränderung ihrer Gefühle, der Wahrnehmung und der Konzentrationsfähigkeit. Essen und Erbrechen dienen der inneren Beruhigung. Die Lust, sich etwas Gutes zu tun, wird über das übermäßige Essen zwar befriedigt, aber dafür wird das Erbrechen als Konsequenz in Kauf genommen. Denn Essen darf keine Gewichtszunahme ergeben. Für manche bedeutet Nahrungsaufnahme gleichzeitig Verschmutzung. Andere erbrechen zur inneren Reinigung (das Schlechte wird „herausgekotzt“).


Binge-Eating-Disorder:
Betroffene erleben 2-3 mal wöchentlich Heißhunger- Attacken, essen dabei schnell und übermäßig viel und ziehen sich dafür aus Scham darüber zurück. Sie leiden an Ekel- und Schuldgefühlen. Die meisten sind davon übergewichtig, weil sie in der Regel auf gewichtsreduzierende Maßnahmen verzichten (Erbrechen, Abführmittel, exzessiver Sport).

Bei Magersucht:

  • Body-Maß-Index, BMI, von unter 17,5 (BMI: Körpergewicht in kg dividiert durch Körpergröße in Metern im Quadrat / für Kinder, Jugendliche gelten altersabhängige Grenzwerte für das unterdurchschnittliche Gewicht und den BMI)
  • Starke Ängste vor einer Gewichtszunahme
  • Störung der eigenen Körperwahrnehmung betreffend Umfang, Größe, Form
  • Ausbleiben von mindestens drei aufeinanderfolgenden Menstruationen
  • Bei jungen Männern Rückgang des Sexualtriebes
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Einige körperliche Beeinträchtigungen als Folgen des Untergewichts können sein:

🚦  Symptome: 

  • Müdigkeit, Muskelschwäche, Schwindel, tiefer Blutdruck
  • Niedrige Körpertemperatur, kalte Hände
  • Bauchschmerzen, Verstopfung
  • Trockene Haut, Haarausfall
  • Lanugobehaarung (feine Haare wachsen am Körper)
  • Verformung der Nägel
  • Blutarmut, Nierenfunktionsstörungen
  • Hormonstörungen
  • Knochenstoffwechselstörungen (Osteoporose)
  • Nervenschädigungen
  • Hirnschwund

Bei Ess-Brech-Sucht:

  • Zahnschädigungen
  • Schwellung der Ohrspeicheldrüsen
  • Hormonstörungen
  • Unregelmäßige Menstruationen
  • Herzrhythmusstörungen
  • Nierenfunktionsstörungen

Essstörungen können sich durch das Zusammenwirken von verschiedenen Faktoren entwickeln

Bei Magersucht:

  • Neue hohe Anforderungen (schulisch und beruflich)
  • Verlusterlebnisse (Tod eines nahestehenden Menschen)
  • Trennungsereignisse (z.B. auch Weggang von zu Hause zu Ausbildungszwecken für Auslandaufenthalt, drohende oder vollzogene Trennung der Eltern, Schulwechsel)
  • Krankheiten
  • Wahrnehmung der Sexualität als Bedrohung oder Verunsicherung
  • Diäten
  • Übergewicht
  • Schönheitsideale (Werbung, Film, oder aus Gruppendruck heraus)

In der persönlichen Konstellation können folgende Risikofaktoren der Persönlichkeit die Entstehung einer Magersucht begünstigen:

  • Perfektionismus
  • Ausgeprägte Leistungsorientierung
  • Sensibilität, Mitgefühl
  • Starkes Harmoniebedürfnis
  • Mangelnde Abgrenzung

Risikofaktoren des sozialen Umfeldes:

  • Äußerlich intakte, harmonische Familie, aber ohne bewährte Streit- und Konfliktkultur
  • Starker innerfamiliärer Zusammenhalt, aber mit wenig Raum für Individualität einzelner Mitglieder, wenig Erlaubnis, anders zu sein
  • Starke Betonung der Leistung als Voraussetzung für Wertschätzung
  • Rivalität zwischen Geschwistern

Bei Ess-Brech-Sucht:

  • Diäten (in 90 bis 95% der Fälle beginnt die Bulimie mit einer straffen Diät, die das Essverhalten destabilisiert)
  • Verlust von nahen Bezugspersonen (z.B. Tod der Großmutter, Suizid einer Freundin)

Risikofaktoren der Persönlichkeit:

  • Ausgeprägte Impulsivität
  • Große Lebendigkeit, oft Kreativität ohne angemessene Ausdrucksmöglichkeit
  • Freiheitsdrang
  • Ausgeprägte Schambereitschaft

Risikofaktoren des sozialen Umfeldes:

  • Ungeordnete Familiensituation (belastetes Verhältnis zur überkontrollierenden Mutter, abwesender, aber bestimmender Vater)
  • Suchtprobleme (Alkohol-, Drogen- oder
  • Medikamentenabhängigkeit der Eltern)
  • Sexueller Missbrauch
  • Häusliche Gewalt
  • Überforderung durch die Notwendigkeit früher Selbstständigkeit

📌  Grundsätzlich:

  • Betroffene haben größte Mühe, über ihre Krankheit zu sprechen
  • Sie erleben diese selber nicht als krankhaft oder verbinden diese mit Scham- und Schuldgefühlen
  • Sie leiden meist im Geheimen
  • Das bringt sie in eine schwere soziale Isolation
  • Betroffenen Personen sollten immer angesprochen werden
  • Ohne dass dies den Betroffenen bewusst ist, warten sie eigentlich auf Hilfe von außen
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Eine Essstörung ist eine sehr ernst zu nehmende psychosomatische Erkrankung, die unbedingt einer Behandlung bedarf.

Es ist wichtig, die Person taktvoll anzusprechen und zu signalisieren, dass man an ihrem Wohlergehen interessiert ist und nicht aus Pflichtgefühl handelt.

Die Betroffene soll alleine und direkt angesprochen werden; dies zu einem passenden Zeitpunkt, der sorgfältig vorbereitet werden muss. Am besten ist es, die Person in der Ich-Form über konkrete Beobachtungen und Auffälligkeiten zu informieren. Generell sollen abwertende Bemerkungen vermieden werden. Es soll Verständnis gezeigt werden, ohne jedoch die Essstörung gutzuheißen.

Gefühle wie Sorge, Angst, Ärger und Hilflosigkeit können angesprochen werden. Es kann sein, dass die Betroffene in einem ersten Gespräch alles abstreitet. Dadurch soll man sich nicht entmutigen lassen. Häufig wird die Mitteilung von der Betroffenen trotzdem aufgenommen. Die Gespräche sollen in regelmäßigen Abständen wiederholt werden.

Gespräche mit den Eltern sollen nur nach Absprache mit der Betroffenen stattfinden. Bei Schwierigkeiten ist es empfehlenswert, mit Fachpersonen in Kontakt zu treten. Die Betroffene selber soll auf Fachstellen aufmerksam gemacht und bei der Suche nach professioneller Hilfe unterstützt werden. Es ist wichtig, ebenfalls die gesunden Anteile der Betroffenen wahrzunehmen und wertschätzend hervorzuheben.

Das sorgfältig geführte Gespräch respektive die Konfrontation mit den Beobachtungen von Außen gilt als ein wichtiger, oft entscheidender Anstoß für die Betroffenen, sich Hilfe zu holen. Signalisieren Sie dabei der betroffenen Person, dass es Ihnen nicht primär um das Essverhalten geht, sondern dass Sie sich um ihr Wohlergehen sorgen. Beachten Sie, dass Betroffene sich für ihr Verhalten oft schämen. Der Zwang, die Essstörung aufzugeben, hilft nicht, sondern treibt sie weiter in die Isolation, denn bisher erschien ihnen die Handlung als Lösung für andere Probleme.

Daher müssen zuerst andere Strategien zur Bewältigung gefunden werden, bevor die Essstörung aufgegeben werden kann. Teilen Sie aber der Betroffenen mit, dass es Hilfe gibt, machen Sie Hoffnung, vermitteln Sie ihr die Adresse einer Fachstelle.

Die Erkrankung eines Familienmitglieds an einer Essstörung ist ein bedeutender Stress für die ganze Familie und führt zu Problemen im Zusammenleben. So ist schwer abzuschätzen, ob besondere Beziehungsmuster in der Familie die Ursache oder die Folge der Erkrankung sind. Bei Kindern und Jugendlichen ist darum eine Therapieform angezeigt, die das ganze Familiensystem im Blick hat.

Um Essstörungen zu verhindern oder den Verlauf abzukürzen ist es daher wichtig:

  • Eigene Fähigkeiten und Talente zu stärken
  • Positives Körpergefühl zu erfahren
  • Natürliches Gefühl für Hunger und Sättigung zu entwickeln
  • Schönheitsideale zu hinterfragen
  • Kritisches Medienbewusstsein zu vermitteln
  • Gefahren von Diäten kennen zu lernen
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🔦  Beachten:

  • In der Prävention sollten die schützenden Faktoren und nicht die Risikofaktoren im Vordergrund stehen
  • Es geht um die Förderung von Kompetenz im Umgang mit Konflikten und Krisen
  • Führungspersonen können wesentlich dazu beitragen, bei Mitarbeitenden und besonders bei Lernenden ein gesundes Selbstwertgefühl zu entwickeln
  • Die Heranwachsenden sollen lernen, wie sie mit Frustration, Krisen und Konflikten umgehen können, indem sie auf die eigenen Ressourcen sowie diejenigen des Umfelds zurückgreifen (Familie, Freunde, Peergroups, Beratungsstellen)

Eine reine Aufklärung über die Gefahren von Essstörungen ist also ungenügend, schreckt zwar ab, kann aber den Reiz der Gefahr noch erhöhen.